Stärke, Härte und Konsequenz


Es gibt viele interessante Themen die sich im und durch Karate ergeben.

Eines, das mich in letzter Zeit immer häufiger beschäftigt, ist die Bedeutung der drei Aspekte „Stärke, Härte und Konsequenz“.

Aus meiner Sicht ist die Thematisierung und Unterscheidung dieser Aspekte für Menschen, die sich im Karate üben, sehr hilfreich.

Die innere Hürde zum Angriff, die Angst vor dem Kampf und das Sträuben vor Auseinandersetzung machen eine Differenzierung dieser Inhalte notwendig, ohne diese bewerten zu wollen. Keines dieser Aspekte ist das „Bessere“, gemessen an den anderen. Jedes hat seine Berechtigung, Funktion und Aufgabe. Vielmehr geht es um ein Bewusstsein ihrer Wirkung und Zusammenhänge.

Bekanntlich erscheinen Gegenstände unterschiedlich, abhängig von dem Licht, in dem sie stehen.

Ich freue mich, einen Beitrag zu einem neuen Licht leisten zu dürfen.

 

Stärke ist nicht zu verwechseln mit Kraft.

Kraft ist niemals gleich Stärke. Kraft bezieht sich auf Körperlichkeit und Physis. Stärke bezieht sich hingegen auf das Innere des Menschen und ist kein Nachweis für das Nichtvorhandensein von Schwäche.

Stärke ist das Bewusstsein und Ausbalancieren der eigenen Schwächen. Dieses Ausbalancieren ist möglich durch die tiefste Annahme und Akzeptanz unseres gesamten Seins. Dazu gehören nicht nur die Eigenschaften, die dem Wunschbild unseres Selbst entsprechen. Die Eigenschaften, die wir gerne an uns selber sehen, verstehen wir als unsere Stärken.

Schwieriger hingegen wird es mit den Aspekten unseres Selbst, die wir nur ungern zu sehen bekommen. Eigenschaften, die in den Situationen zu Tage treten, die uns schwer fallen und denen wir uns weniger gerne stellen. Dann, wenn wir uns nicht mehr rund und vollkommen fühlen und den Rahmen unserer eigenen Toleranz verlassen. Stärke bedeutet, auch in diesen Situationen die Augen vor sich selbst nicht zu verschließen sondern hinzuschauen. Genau diese Seiten anzunehmen, zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen.

 

Dies ist eine der elementarsten Lehren im Karate.

 

Ob im Kihon, in der Kata oder beim Kumite; hier drückt sich jeweils auf unterschiedlichster Art und Weise die Empfindung und Sichtweise des Praktizierenden aus. Wird Karate im vollen Umfang und nicht als Spezialisierung auf eine bestimmte Disziplin und somit reduziert auf wenige Techniken betrieben, ist es unumgänglich auf Bewegungen und Bewegungsabläufen zu stoßen, die uns genau in die zuvor beschriebene Situation versetzen.  Es gibt Karatetechniken, die unserer Gedanken- und Empfindungsstruktur entgegenkommen und uns dadurch ein gutes und sicheres Gefühl vermitteln.  Wir sehen diese als unsere Stärke an und es fällt uns leicht, diese zu üben und auszuführen, da sie unsere vorhandene Struktur unterstützen, aufrechterhalten und ausbauen. Bei anderen Techniken oder Bewegungsabläufen hingegen empfinden wir Unsicherheit, haben ein schlechtes Timing und können uns nicht hineinempfinden. Es sind Techniken, die entgegen unserer bestehenden Struktur wirken. Hieran können wir uns erfahren und erkennen. Die Auseinandersetzung mit genau diesen Techniken ist eine Auseinandersetzung mit uns selbst. Hier beginnt das Training, die Arbeit, das Karate, das Leben. Hierzu bedarf es der Stärke.  

 

Zur Stärke finden

 

Es ist sehr praktisch Lieblingstechniken zu haben. Somit hat man einen Einstieg. Man sollte immer mit Freude und Begeisterung beginnen, um von hier aus das Handeln auszuweiten, indem man sich in seinem Training nicht reduziert, sondern ein breites Fundament aufbaut. Das ist wie beim Ausrollen eines Pizzateigs. Dieser soll auch möglichst groß, rund und dünn werden.  Also fängt man an der dicksten Stelle an und rollt diesen nach außen aus. Immer so, dass möglichst keine Löcher entstehen. Es ist sehr gut mit den Dingen zu beginnen, die uns leicht fallen und uns Freude bereiten. Wir sollten aber niemals vergessen, den Teig auszurollen, unser Wissen und unser Können auszubauen. Vieles oder besser alles zu trainieren. Natürlich nicht ohne Plan und Orientierung. Nein – vielmehr geht es darum, planvoll alle Elemente zu berücksichtigen, weil alles zusammen gehört.

Beginnend bei den drei Elementen Kihon, Kata und Kumite - Denn das Eine funktioniert ohne das Andere nicht. Um eine Technik ausführen zu können, muss sie zuvor einzeln geübt werden. Verstanden wird sie aber erst in dem Zusammenhang der Handlung: der Anwendung. Wenn sie verstanden ist, wird sie in Zukunft völlig anders geübt. Eine dieser beiden Seiten wird immer eine Herausforderung für den jeweiligen Einzelnen sein: separates Üben oder das Ausführen des Geübten. Aber es geht auch um eine Öffnung über das Karate hinaus. Es ist oftmals sehr hilfreich, sich anderen Dingen zuzuwenden um eine Veränderung in dem angestrebten Bereich zu erzielen. Man findet die Lösungen für bestimmte Abläufe niemals darin, indem man diese nochmals unverändert wiederholt. Viele Aspekte findet man auch außerhalb des Karate. Nicht weil sie nicht im Karate enthalten sind, als vielmehr dass nicht jeder über das Karate Zugang zu ihnen findet. Es geht darum offen zu sein, nicht abzugrenzen. Durch die Öffnung gegenüber den Dingen, die förderlich sind für unsere Entwicklung, löst sich gleichzeitig die Abgrenzung zu ihnen auf.

Somit ist es möglich Zugang zu ihnen zu bekommen.

Auf diesem Weg wird man auf viele Einsichten stoßen, die unser bisheriges Handeln und Denken in Frage stellen, statt dieses zu stützen. Dies ist der Weg zur wahren Stärke.

 

Was hält uns nur ab?

 

Es gibt sicherlich viele Gründe, die uns davon abhalten, unsere eigene Stärke zu erfahren und auszuleben. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich innere und äußere Faktoren, an denen wir festhalten. Als innerer Faktor zeigt sich, dass der eigene Blick auf uns selbst und die daraus entstehende Meinung über uns der entscheidende Punkt ist, der uns schwächt. Ein gewisses „Sollbild“ von uns und eine dazugehörige Toleranzschwelle für evtl. Abweichungen lassen uns unseren Erwartungen hinterher laufen. Unter diesen Bedingungen wird es schwer, sich rund und vollkommen zu fühlen, da vermeintlich immer etwas fehlt. Eine differenzierte Wahrnehmung unseres Selbst in Verbindung mit der Umwelt findet an dieser Stelle nicht statt. Dadurch wird der Übergang zu den externen Faktoren fließend. Wir beginnen nun, die Bestätigung unserer Handlung von außen zu holen und vertrauen nun der Bewertung Außenstehender mehr, als unserer eigenen Wahrnehmung. Diese Funktion des Bewertenden ist immer und gut besetzt, denn es finden sich unendlich viele Menschen in unserem Umfeld, die eine Meinung zu uns und unseren Handlungen haben. Die Frage ist einzig und allein: wie sehr hält man daran fest?

 

Für mich ist Karate deshalb so wertvoll, weil es all diese Punkte beinhaltet und widerspiegelt und gleichzeitig einen Raum zur Verfügung stellt, in dem sich Mittel und Wege finden diese Zusammenhänge zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Die Auswirkungen unserer Handlung und Nicht-Handlung werden sehr deutlich erfahrbar. Dies ist allerdings nur in dem Maße möglich, in dem es gelingt, sich auf das Karate einzulassen um dadurch alle Facetten zu betrachten und zu durchdringen. Erst dann wird einem der gesamte Inhalt zuteil.

 

 

 Veröffentlich: Aug.2007 / Toshiya